
PAGE 6 EC COMPETITION POLICY NEWSLETTER Vol. 1, N° 2, Summer 1994
Kommission die ihr anvertrauten Aufgaben im
Wettbewerbsbereich nicht sachgerecht erledigt hätte, hat sich
als unbegründet herausgestellt. Es gibt keine Anzeichen
dafür, daß sich dies in der Zukunft ändern wird. Als Beweis
genügt es, auf die Stellungnahme der Monopolkommission
im vorletzten Hauptgutachten hinzuweisen.
Zweitens ist an die umfassende gerichtliche Kontrolle der
Kommission durch das Gericht erster Instanz und den
Gerichtshof in Luxemburg zu erinnern. Diese Kontrolle ist
durch die Betrauung des Gerichts erster Instanz mit
Wettbewerbssachen erheblich verstärkt worden. Beide
Gerichte werden dafür sorgen, daß die Kommission ihren
Verpflichtungen aus Vertrags- und Verordnungsrecht
minutiös nachkommt. Jeder verfahrens- oder
materiellrechtliche Irrtum wird erbarmungslos korrigiert
werden. Das gilt nach den jüngsten Erfahrungen auch für die
in den ersten Jahren kaum angefochtenen
Fusionsentscheidungen, die - wie bereits erwähnt -
zunehmend den Richtern in Luxemburg vorgelegt werden.
Drittens ist an die Lage in den Mitgliedstaaten zu erinnern:
Soweit es überhaupt eine effektive Fusionskontrolle gibt, ist
diese nur in Deutschland einem unabhängigen Organ
anvertraut, und auch dies nur vorbehaltlich der sogenannten
Ministererlaubnis. In allen anderen Mitgliedstaaten obliegt
sie im wesentlichen einem oder mehreren Ministern, deren
Entscheidungen - wenn überhaupt - nur beschränkt
nachprüfbar sind. Inwieweit die unabhängigen
Wettbewerbsbehörden in Belgien und Italien tatsächlich
Fusionen kontrollieren werden, wird die Erfahrung zeigen.
IV. Nachteile und Gefahren der Schaffung eines
Europäischen Kartellamts
Ich habe bereits mehrfach auf die Nachteile und Risiken
hingewiesen, die mit der Einrichtung einer unabhängigen
Europäischen Wettbewerbsbehörde unausweichlich
verbunden sind. Nicht alle haben das gleiche Gewicht, aber
alle sind bei der Entscheidung für oder gegen das
Europäische Kartellamt zu berücksichtigen.
Die schwerwiegendsten Bedenken sind
wettbewerbspolitischer Natur. Sie gründen sich in erster
Linie auf die Auswirkungen, die die Einrichtung eines
unabhängigen Europäischen Kartellamts
- auf das materielle Wettbewerbsrecht und
- auf die Kommission
haben würde.
Sie beruhen zum anderen auf Zweifeln, ob es gelingen wird,
eine effiziente, unabhängige europäische
Wettbewerbsbehörde zu schaffen.
1. Die Änderung des materiellen Wettbewerbsrechts
a) Die Einführung nicht wettbewerbsorientierter Kriterien in
die Fusionskontrollverordnung
Die Gründung eines unabhängigen Europäischen Kartellamts
wird eine Änderung
des materiellen Wettbewerbsrechts,
genauer der Fusionskontrollverordnung
nach sich ziehen.
Warum? Weil die Schaffung eines unabhängigen
Entscheidungsorgans zu der unabweisbaren Forderung nach
politischer - und nicht nur gerichtlicher - Kontrolle führen
wird: Jeder, der die Diskussion um die Europäische
Zentralbank im Vertrag von Maastricht verfolgt hat, wird
diese Forderung sofort verstehen. Für die politische Kontrolle
kommt in erster Linie die Kommission in Frage; nicht
wenige werden allerdings auch an den Rat denken. Selbst
wenn die politische Kontrolle allein der Kommission
zugewiesen wird, wird es nicht gelingen, ihre Aufgabe
darauf zu beschränken, die erstinstanzliche Entscheidung des
Europäischen Kartellamts in tatsächlicher und in rechtlicher
Hinsicht zu überprüfen, wie dies die Bundesregierung zur
Zeit fordert. Eine solche Überprüfung ist Sache der Richter
in Luxemburg. Politische Kontrolle bedeutet vielmehr
Überprüfung nach politischen Kriterien, d.h. die Einführung
nicht rein wettbewerbsbezogener Beurteilungsmaßstäbe in die
Fusionskontrolle. Bisher ist die Fusionskontrolle durch die
Kommission auf rein wettbewerbsorientierte Gesichtspunkte
beschränkt. Bei den jahrzehntelangen Verhandlungen über
die Fusionskontrollverordnung war dies das wichtigste
Petitum der Bundesregierung. Sie hat sich damit letztlich
durchgesetzt. Soll diese Errungenschaft jetzt wieder
aufgegeben werden?
Einige der Befürworter des Europäischen Kartellamts nehmen
diesen Nachteil in Kauf, weil sie auf die Transparenz des
Entscheidungsprozesses und die abschreckende Wirkung der
öffentlichen Auseinandersetzung über die
Berufungsentscheidung der Kommission setzen. Sie berufen
sich dabei auf Erfahrungen, die mit der Ministererlaubnis in
Deutschland gemacht worden sind. Ich halte es dagegen für
äußerst fraglich, ob man diese Erfahrungen auf die
Europäische Union übertragen kann. In keinem anderen
Mitgliedstaat ist - wie bereits erwähnt - das
Wettbewerbsprinzip so tief in der öffentlichen Meinung
verankert wie in Deutschland. In keinem anderen
Mitgliedstaat ist daher mit einem vergleichbaren Protest der
Medien zu rechnen, wenn die Kommission eine Entscheidung
des Europäischen Kartellamts revidieren würde. Im Gegenteil,
eine solche Revision könnte sogar dort auf breite öffentliche
Zustimmung stoßen, wo die Kommission in höherem Ansehen
stehen würde als das Europäische Kartellamt.
b) Die
Verlängerung der Verfahrensdauer
Die Schaffung eines Europäischen Kartellamts wird nicht nur
zur Einführung nicht wettbewerbsorientierter Kriterien in die
Fusionskontrollverordnung führen; sie wird auch die Fristen
zur Prüfung von Zusammenschlüssen verlängern. Diese sind
bekanntlich im Interesse der europäischen Industrie - und
ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit - äußerst kurz
bemessen worden. Jede Fristverlängerung bedeutet größere
Rechtsunsicherheit und ist daher, wenn möglich, zu
vermeiden. Anregungen zur Fristverlängerung sind daher bei
den Diskussionen über eine eventuelle Revision der
Fusionskontrollverordnung im Jahre 1993 von allen Seiten
zurückgewiesen worden.
2. Auswirkungen der Verselbständigung auf das
Europäische Kartellamt und die Kommission
Die Befürworter einer unabhängigen europäischen
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