
Vol. 1, N° 2, Summer 1994 EC COMPETITION POLICY NEWSLETTER PAGE 5
der Prüfung dieser Frage stellt die Kommission vor allem auf
eine Reihe struktureller Merkmale des betroffenen Marktes
ab, die oligopolistisches Parallelverhalten begünstigen
können (z.B. hoher Konzentrationsgrad, Homogenität der
Produkte, Markttransparenz, Stagnation des Marktes, geringe
Elastizität der Nachfrage, geringer Innovationsgrad,
Verflechtungen zwischen den führenden Unternehmen).
Daneben können auch das Marktverhalten und die
Entwicklung der Marktanteile in der Vergangenheit
wesentliche Anhaltspunkte liefern. Alle diese Faktoren sind
in einer Gesamtschau zu bewerten. Ihre Gewichtung kann
nicht abstrakt erfolgen, sondern muß im Einzelfall nach den
jeweiligen Besonderheiten des betroffenen Marktes
vorgenommen werden. Festzuhalten ist allerdings, daß es in
vielen Bereichen naturgemäß hoch konzentrierte Märkte gibt,
ohne daß dies gleich die Annahme fehlenden Wettbewerbs
zwischen den führenden Anbietern nahelegt. Zu denken ist
etwa an high-tech-Märkte, in denen Innovation und
Produktdifferenzierung meist die Möglichkeit von
Parallelverhalten ausschließen dürften. Ferner läßt nicht jede
Erhöhung des Konzentrationsgrades in einem Markt die
Schlußfolgerung zu, daß eine Situation bestehenden
wesentlichen Wettbewerbs in eine Situation oligopolistischen
Parallelverhaltens umschlagen wird. Andererseits mag es
vereinzelt derart dramatische Strukturveränderungen geben,
daß eine solche Schlußfolgerung gerechtfertigt ist, sofern
noch andere strukturelle Faktoren vorliegen, die ein
Parallelverhalten ermöglichen.
Alles in allem ist die europäische Fusionskontrolle, wie ich
meine, auf einem guten Weg. Sie wird gleichwohl auch in
Zukunft nicht umstritten sein. Die Fusionskontrolle wird
immer der schwierigste, delikateste und kontroverseste Teil
des wettbewerbsrechtlichen und wettbewerbspolitischen
Instrumentariums der Kommission bleiben. Deshalb ist es
auch nicht überraschend, daß mit ihrer Einführung die
Diskussion über die institutionelle Verfassung der
europäischen Wettbewerbspolitik wieder aufgelebt ist, die in
Deutschland bekanntlich in die Forderung mündet,
schleunigst ein Europäisches Kartellamt einzurichten.
D. ÜBERLEGUNGEN ZUM EUROPÄISCHEN KARTELLAMT
I. Eine im wesentlichen deutsche Forderung:
Daß diese Forderung im wesentlichen auf Deutschland
beschränkt geblieben ist, läßt sich aus zwei Gründen erklären,
die eng miteinander zusammenhängen. Da ist zum zum einen
die starke Stellung des Wettbewerbsprinzips in der deutschen
öffentlichen Meinung, die trotz aller wettbewerbsfreundlichen
Entwicklungen in anderen Teilen der Gemeinschaft weit über
das hinausgeht, was in anderen Mitgliedstaaten anzutreffen
ist. Da ist zum anderen der gute Ruf, den das
Bundeskartellamt überall in der Bundesrepublik genießt. In
ihm wird verständlicherweise das Modell gesehen, an dem
sich ein Europäisches Kartellamt orientieren könnte.
II. Ziele und Motive der Befürworter
Die Ziele und Motive der (deutschen) Befürworter eines
Europäischen Kartellamts sind klar und verständlich:
Es geht ihnen um mehr, nicht weniger Wettbewerb, d.h. um
eine Stärkung des Wettbewerbsprinzips in der Europäischen
Union. Einer auf Wettbewerbsfragen beschränkten, von der
Kommission unabhängigen Behörde wird die rein
wettbewerbsorientierte Anwendung der geltenden Regeln, vor
allem der Fusionskontrollverordnung, auf die Dauer eher
zugetraut als dem allgemein zuständigen politischen
Kollegialorgan Kommission. Die Befürworter eines
Europäischen Kartellamts nehmen eine Berufung gegen
Kartellamts-Entscheidungen an die Kommission (nach dem
Vorbild der Ministererlaubnis) in Kauf, da sie auf die
heilsame Wirkung der öffentlichen Diskussion vertrauen: Die
Trennung der Erst-Entscheidungskompetenz des Europäischen
Kartellamts von der Berufungskompetenz der Kommission
bringt die so sehr erwünschte - und derzeit vermißte -
Transparenz des Beschlußfassungsprozesses mit sich.
Die Anhänger einer unabhängigen europäischen
Wettbewerbsbehörde erwarten im übrigen eine
Beschleunigung des gegenwärtigen Entscheidungsprozesses:
Ein Europäisches Kartellamt werde schneller und effizienter
als die Kommission arbeiten.
Die deutschen Befürchtungen im Wettbewerbsbereich
gegenüber dem politischen Kollegialorgan Kommission
werden in Zukunft vermutlich nicht abnehmen. Die Zahl der
Kommissionsmitglieder wird durch die nächste
Erweiterungsrunde weiter ansteigen; ob die für 1996 geplante
Regierungskonferenz zu einer Verringerung führen wird, ist
ungewiß. Die wachsende Bedeutung der Europäischen Union
und ihre Demokratisierung wird die Funktionen der
Kommissionsmitglieder zunehmend politisieren; die
technokratischen Aspekte werden dagegen zurücktreten. Die
Aufgaben der Kommission werden sich verbreitern; die
Kommission wird daher noch mehr Entscheidungen als heute
schon treffen müssen; ihre Arbeitslast wird weiter steigen.
Die von der Kommission im Wettbewerbsbereich zu
treffenden Entscheidungen werden gleichzeitig immer
schwieriger. Wettbewerbsrecht ist seit jeher eine
hochspezialisierte, komplizierte Materie, und zwar sowohl
verfahrens- wie materiellrechtlich. Seine Anwendung wird
mit zunehmender Komplexität ökonomischer Sachverhalte
immer diffiziler. Das gilt, wie die Erfahrung zeigt, ganz
besonders für die Fusionskontrolle, die in Grenzfällen
höchste Anforderungen bei der Ermittlung und Bewertung
wirtschaftlicher Tatsachen stellt. Wird das politische
Kollegialorgan Kommission stets über genügend Sachkunde,
Sachnähe und Objektivität verfügen, um die zu treffenden
Entscheidungen sachgerecht zu fällen?
III. Argumente zur Beibehaltung des gegenwärtigen
Entscheidungsprozesses
Zur Verteidigung des status quo liegen drei Argumente nahe.
Erstens ist auf die Bilanz seit Gründung der Europäischen
Gemeinschaften hinzuweisen. Die Befürchtung, daß die
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